Mittwoch, 8. Dezember 2010

Roter Rotkäppchensekt zum Feierabend

Da radelte ich gestern Abend im schlimmsten Regen von der Arbeit zum Bahnhof, aber was ich dann im Zug erlebte, hat meine schlechte Laune wieder vertrieben. Ganz in meiner Nähe saßen vier Damen, die sich angeregt unterhielten, die ich aber zunächst nicht beachtete.

Plötzlich ein Geräusch, das ich nicht mit Zugfahren verbinde: Fuump! Ein knallender Sektkorken. Ich schau rüber und was sehen meine entzündeten Augen: Holy Crap! Eine der Damen schenkt roten Rotkäppchensekt in vier Plastikbecher ein! Ein süßlicher Geruch macht sich im Waggon breit, vermischt mit etwas, das nach leicht Vergorenem riecht. Die Damen haben jetzt meine volle Aufmerksamkeit. Sie räsonieren grade über die misslungene Unternehmenspolitik ihres Arbeitgebers und über gescheiterte Fusionen: "Des kann mir immer no koinr erklära, dass der Fehler im Syschdem zwoimol auftaucht, nämlich bei mir und bei dr Niedrlassung in Weingarten. Warum krieged die des net in Griff? Des müsst mr doch andersch macha!" So richtig auf die Lösung des Problems kamen sie dann jedoch nicht.

Ich wandte mich schon wieder meiner Lektüre zu, als wieder große Aufregung entstand; die Schaffnerin war im Anmarsch (fällt das eigentlich nur mir auf, dass ich immer nur Schaffnerinnen, aber nie Schaffnern begegne?). "Ja, Sie sind ja heut in Zivil, isch do die Quote vom Schwarzfahrererwischa besser?" Kreischendes Gelächter rüttelt schmerzhaft an meinem Trommelfell. "Krieged Sie eigentlich Provision, wenn Se oin erwisched?" Das Gelächter wird ohrenbetäubend und steigert sich ins Hysterische. Der Schalldruck wird fast unerträglich, aber ich muss bleiben! Ein solches Spektakel erlebt man nicht alle Tage.

Aber dann wurd's leider zäh. Die Schaffnerin klagte Ihr Leid und zwar nicht über die Schwarzfahrer, sondern über die zahlenden Fahrgäste, die ihr durch "Fehlverhalten" die Zeit stehlen und sie somit in ihrer Schwarzfahrerjagd behindern. Als da wären:
1. Ticket erst im Zug lösen
2. mit zu großen Scheinen bezahlen
3. Bahncard nicht unaufgefordert zeigen

Verstohlen ziehe ich meine Bahncard aus der Geldbörse. Jetzt bloß nicht erwischen lassen! Was ich hier in drei Punkten kurz und bündig darstelle, waren in Wirklichkeit gefühlte 15 Minuten Wehklagen über ignorante Fahrgäste. Sie hatte sich inzwischen so richtig in Rage geredet und jegliche Kommunikation im Keim erstickt. Den vier Damen war das Lachen vergangen, sie saßen mit versteinerten Gesichtern und glasigen Augen da. Zum Glück erreichten wir dann bald den Bahnhof Ulm und die Schaffnerin entließ uns schließlich, aber nicht, ohne vorher unsere Tickets zu kontrollieren. Selbstredend!


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